Per Lufttaxi nach Bielefeld – Elektroflieger ermöglichen das Comeback der Regionalflughäfen

Dieser Artikel von Jens Koenen ist am 06.09.2021 im Handelsblatt erschienen.

Senkrecht startende Lufttaxis oder elektrisch fliegende Firmenjets: Neue Mobilitätsideen gibt es viele – doch noch fehlt ein sinnvolles Gesamt-System.

Dass er mal eine Rede auf der IAA halten wird, damit dürfte Carsten Spohr bis vor Kurzem nicht gerechnet haben. Eine Keynote des Lufthansa-Chefs auf einer der größten Automobilmessen der Welt? Doch die Neuausrichtung der IAA am Standort München macht es möglich. An diesem Dienstagvormittag wird der oberste Lufthanseat zugeschaltet und spricht über Nachhaltigkeit.

In München dreht sich diese Woche nicht mehr alles nur ums Auto. Die Mobilität in ihrer Gänze steht auf dem Programm, auch die in der Luft. Zum ersten Mal ist zum Beispiel das Bauhaus Luftfahrt – eine von der Luftfahrtindustrie und der Politik geförderte Forschungseinrichtung – auf der IAA vertreten. Gezeigt werden Konzepte und Ideen des „Urbanen Lufttransportes“.

Es ist keine Frage mehr: Neue Technologien – stark getrieben von der Elektromobilität – werden die Art, wie wir uns bewegen, radikal verändern. Das Problem ist aber: Noch werden all die neuen Ideen weitgehend isoliert betrachtet.

Wie die einzelnen Verkehrsträger sinnvoll und möglichst klimaneutral miteinander und mit den bestehenden Angeboten verbunden werden können, diese Frage findet bisher viel zu wenig Beachtung. Dabei ist das die wohl größte Herausforderung, wenn die Verkehrswende wirklich gelingen soll.

Wie groß die ist, lässt sich gut am Beispiel Luftverkehr aufzeigen. Moderne Elektromotoren und immer leistungsfähigere Akkus schaffen hier ganz neue Möglichkeiten. Es sind nicht nur die viel zitierten elektrischen Senkrechtstarter – gerne auch als Flugtaxi bezeichnet. Auch die Hersteller herkömmlicher Flugzeuge – hier natürlich zunächst die kleineren – haben den Stromantrieb für sich entdeckt. Doch ihr Einsatz wird nicht dort geplant, wo sie am meisten bringen würden.

Die elektrischen Flugvehikel wären ideal für schnelle regionale Verbindungen. Da liegt es auf der Hand, die bestehende, dezentrale Luftfahrtstruktur in Deutschland mit vielen Regional-Airports als Infrastruktur zu nutzen. „An den regionalen Flughäfen gibt es eine große Bereitschaft, zum Beispiel in Photovoltaik und die Ladeinfrastruktur zu investieren“, sagt Thomas Mayer, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der regionalen Flugplätze (IDRF).

Renaissance der dezentralen Flughäfen

Unterstützt werden solche Ideen durch Firmen, die Geschäftsflugzeuge nutzen. „Die Unternehmen sind bereit, in elektrische Flugzeuge zu investieren“, sagt Andreas Mundsinger vom Geschäftsreiseverband GBAA. Viele Unternehmer würden dabei helfen, die notwendige Infrastruktur für Elektroflugzeuge zu finanzieren.

Sie sind schließlich auf schnelle Verbindungen angewiesen. „Wir haben in Deutschland dezentrale Wirtschaftsstrukturen. Große und viele kleine Unternehmen haben ihren Sitz nicht in der Nähe der großen Flughäfen“, beschreibt Mundsinger die Situation: „Die großen Linienanbieter haben sich aber in den zurückliegenden Jahren stärker aus der Fläche zurückgezogen.“

Also greifen viele Firmen auf eigene Jets zurück, was immer wieder für Kritik sorgt, gerade mit Blick auf die strengen Klimaziele. Für die Werksflugbetriebe sei das Fliegen aber Mittel zum Zweck, sagt Mundsinger von der GBAA: „Das Image von Geschäftsreiseflugzeugen und Privatjets ist nach wie vor nicht gut. Die Elektrifizierung der Luftfahrt ist für uns deshalb eine große Chance.“

Doch die zu ergreifen ist nicht so einfach. Jungunternehmen wie Lilium aus der Nähe von München wollen zwar mit ihren Flugtaxis ein dichtes Netz über Deutschland spinnen. Doch die Entwicklung der Senkrechtstarter ist teuer, es müssen möglichst schnell Einnahmen fließen, um die neuen Vehikel weiterzuentwickeln und eine Serienfertigung aufzubauen. Also blickt Lilium vor allem auf größere Städte und Ballungsräume mit möglichst großem Kundenpotenzial. Die Lilium-Jets sollen zum Beispiel an den Flughäfen München, Düsseldorf, Köln-Bonn und Nürnberg starten und landen – und eben nicht an den kleineren Airports.

Das E-Flugzeug Alice

Die Deutsche Post/DHL will in Zukunft stärker auf E-Mobilität auch in der Luft setzen und hat mehrere der Flugzeuge bestellt.

Von den vier Flughäfen soll es wiederum Verbindungen nach Frankfurt, München-Stadt, Stuttgart, Zürich, Basel oder Luxemburg geben, also ebenfalls in Metropolen. In den aktuellen Planungen des Start-ups fallen lediglich Bielefeld, Kassel und Ingolstadt als etwas kleinere Städte aus der Rolle.

Unternehmen, die wie Würth ihren Sitz in Künzelsau haben, werden von den neuen Mobilitätsangeboten also kaum profitieren können. Sie wären weiter auf die Firmenjets angewiesen. Immerhin könnten auch die bald elektrisch fliegen. Wenn denn die dafür notwendigen Regionalflughäfen bestehen bleiben.

Doch das ist nicht sicher. Zwar bieten sich die weit verteilten Airports dafür an, schnell neue und zukunftsweisende Luftfahrtdienste dort aufzubauen, wo keine Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn vorbeiführt. Politiker aller Couleur schmücken sich auch gerne mit solchen Plänen. Doch gleichzeitig tun sie sich schwer mit der Unterstützung kleiner Flughäfen. Fliegen gilt als dreckiges Transportmittel. Es in Zeiten zu fördern, in denen die Schiene fast als eine Art Allheimmittel für die Verkehrswende propagiert wird, ist nicht angesagt.

Das ärgert Mayer vom IDRF. Seiner Meinung nach werden dadurch große Chancen vertan: „Es ist ein Widerspruch, wenn die Politik neue Technologien wie hybridelektrische Regionalflugzeuge, elektrische Kleinflugzeuge und Senkrechtstarter fördert, gleichzeitig aber kein Interesse an der dezentralen Luftfahrt zeigt.“ Die regionalen Flughäfen seien keine Konkurrenz für die großen Flughäfen. „Nur die Kombination aus kleinen, dezentralen Flughäfen und den großen Airports für den Linienverkehr kann die notwendige Konnektivität in der Luftfahrt sicherstellen.“

Unternehmer wollen elektrisch fliegen

Bestätigt wird das indirekt durch die überraschend stabile Wirtschaftslage vieler kleiner Airports. „Ein Viertel der Regionalflughäfen ist bei den Flugbewegungen in der Pandemie sogar zwischen fünf und 15 Prozent gewachsen. Es gab auch Ausreißer mit einem Plus von bis zu 20 Prozent“, sagt Mayer.

Sprich: Anders als viele große Flughäfen brauchten die kleinen keine Staatshilfen. Sie haben andere Kunden, etwa die Nutzer von Business-Jets. Die sind auch in der Pandemie weitergeflogen, viele weil sie es für ihr Geschäft mussten. Zudem sind viele der kleinen Flughäfen nicht auf die Einnahmen mit dem Handel oder der Gastronomie angewiesen. Für Mundsinger von der GBAA steht deshalb fest: „Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Politik zur dezentralen Luftfahrt. Wir reden hier nicht nur von Privatjets, sondern auch von Luftrettung, Polizei, Katastrophenschutz oder der Sportfliegerei.“

Dass sich an der fehlenden Aufmerksamkeit der Politik für die dezentrale Infrastruktur rasch etwas ändern wird, bezweifeln allerdings in der Branche viele. Auch eine neue Bundesregierung – egal wie diese aussehen wird – werde sich mit Blick auf die Klimadebatte kaum an das Thema wagen, heißt es.

Dabei sind es nicht nur die Luftfahrtverbände, die aus eigenem Interesse für eine dezentrale, elektrische Luftfahrt werben. Weltweit sehen Experten in der Elektrifizierung des Fliegens und in Flugtaxis große Chancen für kleine Airports. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa stellte kürzlich in einem Report fest, dass elektrische Flugvehikel entscheidend dazu beitragen könnten, vielen der rund 5000 Flughäfen in Nordamerika neue Geschäfte zu ermöglichen.

Die Beratungsgesellschaft McKinsey berichtete, dass die weltweit rund 36.000 kleineren Flughäfen unterausgelastet sind, sogar während der Hauptverkehrszeiten. Gleichzeitig würden diese Flughäfen aber wichtige Verbindungen in der gesamten Transportkette bieten. „Im besten Fall können regionale Flughäfen eine große Zahl von Menschen versorgen, die effizientere Transportmöglichkeiten verlangen und dabei gleichzeitig die Emissionen und die Staus auf den Straßen reduzieren. Das wäre ein Gewinn für alle“, heißt es in dem Papier mit Blick auf die neuen Möglichkeiten elektrischer Fluggeräte.

Doch selbst wenn die Regional-Airports künftig doch noch die erforderliche Unterstützung aus der Politik bekommen sollten, ist es damit nicht getan. Auch am anderen Ende der Flugstrecke, also in den Städten oder auf dem Land, brauchen die Flugtaxis die passende Infrastruktur. Und zwar eine, die optimalerweise an die dort bestehende Verkehrsinfrastruktur angebunden ist. Wie das geschehen soll, ist bisher völlig offen.

Dabei ist das sogar die vielleicht größte Herausforderung einer Verkehrswende mit neuen Verkehrsmitteln. Denn die Suche nach geeigneten Standorten ist schwierig. Anbieten würden sich zum Beispiel Bahnhöfe, wo sich der Fern- und der Nahverkehr kreuzen. Doch die Bahnstationen liegen in der Regel zentral. Weder ist hier Platz für sogenannte Vertiports noch sind diese Areale tauglich für den Flugverkehr. In bebauten Gebieten gibt es enorm hohe Anforderungen an die Sicherheit und strenge Lärmvorgaben. Schwärme von Flugtaxis sind hier kaum vorstellbar.

Die gesetzlichen Vorgaben entsprechend zu ändern dürfte keine Option sein. Zu groß wäre wohl der Widerstand der Bürger. Das zeigt eine Umfrage im Auftrag der europäischen Luftfahrtbehörde EASA vor einigen Monaten. Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten in mehreren europäischen Städten vertraut der Sicherheit der neuen Flugvehikel. Auch die Errichtung der Vertiports bereite Sorge, viele würden um das Stadtbild fürchten, heißt es in der Studie. Hinzu kämen Bedenken wegen der Lärmbelastung.

Bürger haben Bedenken bei Flugtaxis

Gleichzeitig erklärten die Befragten in den Interviews aber, wie wichtig ihnen eine Integration in das bestehende Transport-Ecosystem ist. Die Folge ist ein schwer zu lösendes Dilemma. „Wegen der wachsenden Lärmemissionen bei einer größeren Zahl an Landungen und Starts sollten zumindest die größeren Vertiports idealerweise außerhalb des Stadtzentrums beispielsweise in der Nähe von City-Centern oder stark befahrenen Straßen angesiedelt werden“, empfehlen die Experten von Porsche Consulting.

Dort wiederum fehlt es häufig an einer vernünftigen Anbindung an den Nahverkehr. In Deutschland sind viele City-Center stark auf die Anreise per Auto ausgerichtet. Gleichzeitig müssten solche Vertiports für die Kunden gut erreichbar sein, heißt es weiter in der Studie: „Eine größere Zahl an gut platzierten Vertiports macht es für die Kunden einfacher und komfortabler, diese zu erreichen, als wenn sie zu weit entfernten und wenig begehrten Stadtteilen reisen müssen“, empfehlen die Experten von Porsche Consulting. Solche Toplagen seien aber wiederum allgemein begehrt und teuer.

Fragen über Fragen, die aber nach Einschätzung der Experten der EASA unbedingt beantwortet werden müssen, damit „Urban Air Mobility“ überhaupt zu einer bezahlbaren, integrierten und ergänzenden Mobilität werden kann, von der die Gesellschaft auch wirklich profitiert. Allein können das die Unternehmen kaum leisten, gefragt seien hier auch die Politik, die Behörden und die Regulierung. „Durch eine transparente und zeitnahe Information sowie klare Orientierungshilfen haben die Behörden auf allen Ebenen – lokal, national und in Europa – die Chance, die öffentliche Akzeptanz von Urban Air Mobility zu stärken“, stellen die Experten der EASA fest.